Unterwegs von der Quelle zum Meer

Nikolaus Fischnaller

Ein Blinder öffnet Sehenden die Augen

Nikolaus Fischnaller stellt sein zweites Buch "Unterwegs von der Quelle zum Meer" vor

Nikolaus Fischnaller, der bislang einzige blinde Autor Südtirols, hat jüngst sein zweites Buch "Unterwegs von der Quelle zum Meer", der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Buch, eine Sammlung von Gedichten, Märchen und Kurzgeschichten, hat schon jetzt einen großen Widerhall gefunden.


Der 1943 als neuntes von zwölf Kindern in Lüsen geborene Autor hat der deutschsprachigen Leserschaft ein Buch präsentiert, das den Sehenden einen Einblick in die Welt der Blinden zu geben vermag. "Dieses Buch kann uns Hoffnung auf das Gute geben und die Erkenntnis, dass unser Schicksal unser Leben nicht erdrücken muss, sondern, dass es uns reifen lässt", so die Lektorin Brigitte Comploj. Sead Muhamedagic, ein aus Kroatien stammender Übersetzer und selbst Sehbehinderter, beschrieb Fischnaller als "selbstkeimenden Autor", der ohne jede literarische Vorbildung eine Sensibilität in sich entdeckt habe, um seine Welt und Gedanken festzuhalten.

"Unterwegs von der Quelle zum Meer" ist bei Athesia- Spectrum erschienen und wurde vom Blindenzentrum St. Raphael herausgegeben. Im Blindenzentrum ist Fischnaller selbst ein großer Motor. Er arbeitet stets an der Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Blinde. Sein neustes Buch ist gewiss kein Jammerbuch, sondern ein Werk, das die Augen zu öffnen versteht.

"Das Buch zu schreiben, war in gewisser Hinsicht ein stetiger Kampf, bis alles gepasst hat. Aber es hat sich gelohnt, denn ich habe erlebt, dass Schreiben verbindet und ganz neue Beziehungen entstehen lässt", sagte Fischnaller. "Mein Buch kann auch als Kinderbuch betrachtet werden, doch es enthält viele Themen, die auch Erwachsene ansprechen." Bürgermeister Albert Pürgstaller verglich das Buch mit dem Stück "Die Moldau" von Friedrich Smetana, das ebenso berauschend und imposant zu sein vermag. Ein Anwesender, selbst blind, der das Buch in CD-Form gehört hatte, war begeistert: "Ein Studierter könnte sich nie so ausdrücken, wie es Nikolaus geschafft hat."


Gedanken zur Entstehung des Buches

Vor etwa vier Jahren habe ich das erste Märchen geschrieben und hab seitdem immer wieder mit Freuden und oft fast ein bisschen arbeitssüchtig an meinen Gedichten und Erzählungen herumgebastelt. So versuchte ich bis zur letzten Minute herumzuschleifen, bis Rhythmus und Reime passten und die einzelnen Verse auch ihre Aussagekraft hatten. Das hieß öfters kürzen und manchmal hieß es auch vorher mit Mühe schön formulierte Strophen wieder herauszunehmen. Aber ich denke, das war für mich ein positiver Lernprozess, der auf jeden Fall auch den Lesern zugute kommen wird.

Zu den Texten in Prosa habe ich mir öfters Rückmeldungen geholt und gerade strenge Anmerkungen oder direktes Abraten waren mir oft eine Hilfe, mich neu mit den Texten auseinanderzusetzen und aus den so gewonnenen Erkenntnissen wieder schöpferisch tätig zu werden. Bei der von Miriam vorgeschlagenen graphischen Aufmachung war ich für eine Weile unsicher, ob das eher abstrakt Gestalterische mit dem Inhalt zusammenpasst und so habe ich mir weitere Rückmeldungen eingeholt.
Jetzt hoffe und wünsche ich mir, dass meine Texte bei meinen Lesern gute Gefühle wecken oder zum Weiterdenken anregen.

Aber etwas anderes möchte ich noch ansprechen: Als wir entschieden hatten, wie mein Buch in seiner Aufmachung werden sollte und ich es also zum ersten Mal „sah“, war ich doch ein wenig betroffen.

Ich merkte, dass es doch ein Unterschied ist, ob man aus der Erinnerung über etwas schreibt und Tipps für geschickte Umgangsformen unter Sehgeschädigten gibt, wie ich es im letzten Buch getan habe, oder ob ich in Gedichten und Erzählungen zu Einstellungswerten Aussagen mache. Es ist mir schon bewusst, dass ich in diesem Buch doch viel Persönliches gebe und mich logischerweise dadurch auch einer gewissen Kritik aussetze. Aber vor allem denke ich, dass wir eine gewisse Verantwortung haben, wenn wir anderen gegenüber Aussagen machen und ich möchte auf jeden Fall, dass meine Ausführungen auch authentisch sind. Dann scheint mir auch, dass es einen Unterschied macht, ob man über etwas am Stammtisch redet oder ob es in einem Buch veröffentlicht wird.

Für mich wünsche ich: wenn ich in meinen späten Lebensjahren etwas müde und unzufrieden oder vielleicht sogar griesgrämig werden sollte, dass mir da jemand aus meinen Büchern vorliest und dass mich dabei eine warme Erinnerung berührt, dass das Leben auf jeden Fall schön und sinnvoll ist.
Ich hoffe aber, dass ich mich - bevor das geschieht - immer wohler fühle bei mir selber, und dass ich nun wie der Strom in der Eingangsgeschichte immer ruhiger und gelassener meinen Weg, dem guten Ziel entgegen, weitergehen kann.

Ein herzlicher Dank geht an all jene, die mich bis jetzt auf dem Weg von der Quelle bis zum Strom begleitet haben, und die mich weiterhin begleiten werden.


Vorwort

Die Eingangsgeschichte dieses Buches erzählt von einem glücklichen Bächlein, das auf seiner Wanderung verunsichert wird, das sich aber dann zum reißenden Bach und später zum ruhigen Fluss entwickelt, der schließlich als Strom langsam und gelassen dem Meer entgegenfließt.

Es ist die Geschichte eines Baches und es ist auch meine Geschichte. Öfters bricht in diesem Buch jemand auf und macht sich auf den Weg, um in seinem Leben etwas zu verändern. Ob er sich auf den Weg macht, um sich einen Wunschtraum zu erfüllen, oder ob er eine Veränderung einer misslichen Lage herbeiführen möchte, die Bereitschaft zum Aufbrechen und das Unterwegssein bringen ihm fast immer konkrete Hilfe und neue Erkenntnis ein.

Als Kind hatte ich einen ganz engen Kontakt zur Natur mit ihren bunten Farben und Formen. Diese schöne Erlebniswelt wurde aber schon im Kindesalter durch meine langsame Erblindung und andere Umstände eingeschränkt. So flüchtete ich in eine von mir aufgebaute Scheinwelt und verlor vielfach die gesunde Verbindung mit der Wirklichkeit. Wie sanft oder wie stürmisch ich diese Phase der Verunsicherung überstanden habe, wie ich damit umgegangen bin und was ich daraus für mein Leben gelernt habe, spiegelt sich ein bisschen in dieser Eingangsgeschichte vom Werdegang des Baches wider.

In meinen Gedichten, in denen einige Gedanken und Bilder dann Sprachgestalt bekommen, dienen die bildlichen Darstellungen immer wieder als Metaphern, um ein Gefühl oder eine Lebenshaltung zum Ausdruck zu bringen, und der Leser wird oft in einzelnen Abhandlungen Zuversicht und wohl auch manche Anregung zum kritischen Nachdenken herauslesen können.

Einige der Märchen in der zweiten Hälfte des Buches hat uns Mutter oft erzählt und ich schreibe sie hier aus der Erinnerung an unsere Kindheit auf. Zum anderen sind sie als Gutenachtgeschichten am Bett meiner Kinder oder Enkelkinder entstanden und sind von mir später, so wie sie sich mit dem mehrmaligen Erzählen entwickelt haben, niedergeschrieben worden.
Einen herzlichen Dank allen, die mir bei der Entstehung des Buches behilflich waren.
Nikolaus Fischnaller